Wir fragen Michael Strebl: Was muss die „Wärmeversorgung 2.0“ im Hinblick auf eine Zukunft mit erneuerbaren Energien leisten können?
Michael Strebl, Vorsitzender der Wien Energie-Geschäftsführung – nebst Energie Burgenland, Energie Steiermark und EVN eines der vier Gründerunternehmen des Green Energy Labs – im Gespräch über die Wärmewende.
Die Müllverbrennungsanlage in Spittelau ist Wien weltweit Vorbild für moderne Wärmeerzeugung. Was ist das Besondere an der Wärmeversorgung von Österreichs Bundeshauptstadt?
Die Wärmeversorgung in Wien ist bereits heute sehr klimafreundlich aufgestellt. Wien Energie versorgt mehr als 420.000 Haushalte und 7.500 Großkunden mit Fernwärme und deckt damit rund 40 Prozent des gesamten Wärmebedarfs von Wien ab. Das Wiener Modell gilt international als Vorbild: Wir kombinieren hier unterschiedlichste Erzeugungsanlagen wie Kraft-Wärme-Kopplung oder Biomasse und setzen seit Jahrzehnten auf die Nutzung von Abwärme aus der Müllverbrennung und Industrie. Um die Klimakrise zu bewältigen, braucht es aber noch mehr. Wir müssen raus aus Erdgas. Deshalb investieren wir massiv in den Ausbau erneuerbarer Wärmelösungen und wollen neue alternative Wärmequellen erschließen. Hier liegt ein ganz wesentlicher Hebel, um die CO2-Emissionen zu senken und Klimaschutz in der Stadt voranzutreiben.
Was muss die „Wärmeversorgung 2.0“ im Hinblick auf eine Zukunft mit erneuerbaren Energien leisten können?
In Zukunft soll die gesamte Wiener Wärmeversorgung zu 100 Prozent klimaneutral sein. Die Fernwärme ist hier ein wahrer Klimaschutzmotor: Hier muss man „nur“ die Quelle dekarbonisieren, dann kommt grüne Wärme im Haushalt an. Es sind keine großen Umbauarbeiten am Gesamtsystem oder gar beim Kunden in der Wohnung notwendig. In Wien haben wir mit einem der größten Netze Europas dafür beste Voraussetzungen, aber wir müssen den Ausbau weitervorantreiben. Schon heute integrieren wir unterschiedliche Wärmequellen – vom Manner-Backofen bis zu den UNO City-Klimaanlagen. Für eine erfolgreiche Wärmewende müssen wir jede Kilowattstunde Energie nutzen, die wir bekommen können und neue Quellen wie Erdwärme erschließen. Es müssen aber auch zunehmend Konzepte zur klimafreundlichen dezentralen Wärmeversorgung erarbeitet werden, wo kein Fernwärmeanschluss möglich ist. Also der Einsatz von Wärmepumpen und Tiefensonden. Nicht zu unterschätzen ist das Thema der thermischen Sanierung: Nur mit besserer Energieeffizienz und einem sorgsamen Umgang unserer Energie können wir die Klimaziele erreichen.
Welche Projekte treibt die Wien Energie hierzu aktuell voran?
Insgesamt investiert Wien Energie in den nächsten 5 Jahren 400 Millionen Euro in die Dekarbonisierung der Wärme. Wir setzen vor allem auf innovative Ansätze im Bereich der Abwärmenutzung. Derzeit arbeiten wir beispielsweise daran, bei unserer Müllverbrennungsanlage Spittelau mit dem Projekt THERMAFLEX – das ein Teil von Green Energy Lab ist – die anfallende Abwärme aus der Rauchgaskondensation als Quelle für eine Wärmepumpe zu nutzen. Diese Hochtemperatur-Wärmepumpe soll künftig mit mehr als 10 Megawatt Wärme ins Fernwärmenetz einspeisen.
Aber auch die tiefe Geothermie – also Wärmevorkommen hunderte bis tausende Meter unter der Erde – birgt für Wien viel Potential. Unser Ziel ist es, bis 2030 mindestens 150 Megawatt Fernwärme-Leistung aus der Geothermie zu installieren. Damit könnten wir weitere 135.000 Haushalte mit grüner Wärme versorgen und so bis zu 260.000 Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Auch saisonale Speicherung schauen wir uns in diesem Kontext an – etwa im Forschungsprojekt ATES Vienna. Diese Hochtemperatur-Wärmespeicher beruhen auf der Nutzung von für Thermalwasservorkommen in Tiefen zwischen 300 und 3.000 Meter. Die Technologie ist noch im Forschungsstadium bei Green Energy Lab, kann aber vielversprechend sein. Der größte Vorteil dieser Technologie liegt in dem extrem geringen Oberflächenbedarf, weshalb sie sich für Ballungszentren gut eignet sein könnte.