Das Elektroauto als Stromzwischenspeicher
In Zukunft soll die flexible Ladung und Entladung von Elektroautos dabei helfen, möglichst viel erneuerbare Energie zu nutzen und das Stromnetz stabil zu halten.
Die Elektroautos werden mehr. Ihre leistungsfähigen Batterien sollen künftig nicht nur genutzt werden, um das Fahrzeug anzutreiben, sondern auch um das Gesamtenergiesystem zu stabilisieren.
Zwei Phänomene werden die Zukunft der Energieversorgung wesentlich mitbestimmen. Da ist auf der einen Seite eine dezentrale und stark fluktuierende Energiegewinnung. Die Photovoltaikflächen werden weiterhin stark wachsen und damit die verfügbare Energie vom Tag-Nacht-Wechsel und vom Wetter abhängig machen.
Auf der anderen Seite geht die Elektromobilität zunehmend in die Breite. Mit ihr kommt ein großer Verbraucher hinzu, der den Strombedarf in Österreich etwa um zehn bis 15 Prozent erhöhen wird. Zudem wird das Beladen der Autos eigene Lastspitzen produzieren – etwa wenn viele E-Auto-Nutzer nach der Rückkehr von der Arbeit ihr Fahrzeug zu Hause anstecken.
Diese Aspekte muss ein künftiges Energiesystem unter den Hut bekommen und dennoch ein stabiles Netz gewährleisten, das möglichst vollständig aus erneuerbaren Energieformen gespeist wird. Die E-Autos könnten hier aber auch gleich selbst zu einer Lösung beitragen.
Immerhin sind sie mit Batterietechnik ausgestattet, die ein Vielfaches mehr an Energie als ein üblicher Hausspeicher aufnehmen kann. Diese Speichermöglichkeit könnte, gepaart mit Technologien zum kontrollierten Laden und Entladen der Fahrzeuge, ein hohes Maß an Flexibilität bereitstellen, das zu einem stabileren Energiesystem beiträgt.
Strom auch ins Netz abgeben
Ein großes Forschungsprojekt soll praxistaugliche Konzepte in diesem Bereich entwickeln. Zum Konsortium von „Car2Flex“ zählen insgesamt 19 Organisationen: Energieversorger, Technologieunternehmen und Forschungspartner wie das AIT Austrian Institute of Technology, die FH Technikum Wien, die Forschung Burgenland, Joanneum Research oder die Montanuni Leoben.
Die Projektleitung liegt bei der TU Wien, das Projektbudget beträgt knapp fünf Millionen Euro. Das Projekt wird von der Förderagentur FFG unterstützt, und es ist Teil der Forschungsinitiative Green Energy Lab, die via Klima- und Energiefonds vom Klimaschutzministerium gefördert wird.
„Autos werden zu 90 Prozent der Zeit nicht bewegt, sondern stehen herum – auch Elektrofahrzeuge“, erklärt Projektleiter Georg Lettner vom Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der TU Wien. „In dieser Zeit kann man sie für eine Optimierung des Energiesystems nutzbar machen.“
Die Autos sollen vor allem dann laden, wenn Wind- und Sonnenenergie im Überfluss vorhanden sind. Wenn nicht genug erneuerbare Energie vorhanden ist, könnten die Fahrzeuge dagegen auch Strom ins Netz abgeben.
Bidirektionales Laden
Eine Kerntechnologie, die diese Interaktion zwischen E-Auto und Stromnetz ermöglichen soll – man spricht vom Vehicle-to-Grid-Ansatz (V2G) –, ist das bidirektionale Laden der Elektroautos. Diese Fähigkeit, nicht nur Strom aus dem Netz zu beziehen, sondern ihn auch an dieses abzugeben, besitzen im Moment nur wenige Fahrzeugmodelle.
Künftig soll die Technologie aber breit verfügbar sein. Voraussetzung für einen großflächigen Einsatz des Konzepts sind entsprechende Technologiestandards, die Kommunikation und Interoperabilität zwischen Ladesäulen, Autos und Haustechnik sicherstellen, betont Lettner.
In dem vierjährigen Projekt sollen nun geeignete Technologien und Geschäftsmodelle entwickelt werden. Dazu gehört, dass in einer sozialen Begleitforschung besondere Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen erhoben werden und die Akzeptanz der entwickelten Konzepte geprüft wird. Analysen zu großflächigen Skalierungsmöglichkeiten und Nachhaltigkeitseffekten sind genauso geplant wie die Ableitung von Empfehlungen für die erwähnten Technologiestandards.
Die Forscher werden ihre Entwicklungen in drei Use-Cases anwenden, die auch in der Praxis erprobt werden sollen. In Rahmen dieser Feldforschungen soll zum einen ein E-Car-Sharing-Angebot in einem mehrgeschoßigen Wohnbau etabliert werden, das den Bedarf vor Ort abdeckt.
Zum anderen sollen mehrere Firmenflotten unter den neuen technischen und organisatorischen Gegebenheiten betrieben werden. Als dritter Use-Case steht der Individualfahrer im Fokus, der also etwa mit seinem Privat-Pkw zur Arbeit und zum Einkaufen fährt. In allen diesen Anwendungsbereichen soll die Flexibilisierung der Lade- und Entladevorgänge erprobt werden.
Weniger Wechselrichter
Zu den technischen Aufgabenstellungen gehören etwa smarte Hausanlagen, die den Gleichstrom der PV-Anlagen gleich direkt in die Batterien schicken, ohne ihn, wie bisher üblich, zuvor in Wechselstrom und wieder zurückverwandeln zu müssen.
Regelungsalgorithmen werden geschaffen, die auf Basis von Verbrauchsprofilen und Präferenzen von Nutzern die Stromflüsse timen. Man muss über Anreizsysteme nachdenken, die die Akku-Flexbilität entsprechend abgelten. Gleichzeitig braucht es Systeme, die die Flexibilitäten von vielen Fahrzeugen zusammenfassen und am Strommarkt anbieten können.
Bleibt die Frage, ob die Autobesitzer tatsächlich bereit sind, die Kontrolle über die Beladung ihres Akkus zumindest zum Teil abzugeben. Lettner ist zuversichtlich: „Bewusstseinsbildung ist ebenfalls ein Ziel des Projekts. Zudem gibt es jetzt bereits Verhaltensmuster, auf denen wir aufbauen können – auch heute nutzen Autofahrer bereits Apps, um zu sehen, wo sie in ihrer Umgebung billig tanken können“, erklärt der Forscher. „Wir wollen solche Angebote adaptieren und sie an die Elektromobilität anpassen.“
Alois Pumhösel | Der Standard