Serielle Sanierung: Das Baukasten-Prinzip für den Gebäudesektor

Beim Insight Talk präsentierte das Green Energy Lab gemeinsam mit AEE INTEC innovative Konzepte zur seriellen Sanierung und zeigte das enorme Potenzial für den Gebäudebestand in Österreich auf.

RENVELOPE DEMO – kreislauffähige Gebäudesanierung der Berufsschule Knittelfeld © Green Energy Lab

 

Österreich steht vor einer massiven Sanierungswelle: Es gibt kaum einen Zeitraum in der zweiten Republik, in dem mehr gebaut wurde als in den 60er bis 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. In dieser Zeit wurde die Anzahl der Gebäude verdoppelt. Ein regelrechter Bauboom bescherte damals, vor allem europäischen Städten, den typisch geometrischen, mehrgeschossigen Wohnbau.

Heute, 60 Jahre später, müssen 60 Prozent des bestehenden Gebäudebestands grundlegend saniert werden, erklärt Tobias Weiss, Bereichsleiter Gebäude bei der AEE INTEC. Wir stehen somit am Beginn einer sogenannten Sanierungswelle. Eine große Herausforderung, denn es gibt schon heute einen Sanierungsstau, den es aufzuholen gilt. Der Faktor Zeit spielt jedoch eine große Rolle bei der Erreichung der Klimaziele, denn der Anteil des Gebäudesektors am Endenergiebedarf beläuft sich auf satte 35 Prozent.

Im Jahr 2023 haben die Sanierungsaktivitäten erstmals den Neubau übertroffen. Ursachen dafür sind unter anderem eine sinkende Kaufkraft, strengere Kreditvergaberegeln und steigende Baukosten. Noch ist unklar, ob dies tatsächlich ein Wendepunkt oder nur eine vorübergehende Entwicklung ist. Für den Klimaschutz ist eine nachhaltige Sanierung aber jedenfalls ebenso wichtig, wie energetische Standards bei neu zu errichtenden Gebäuden.

Der Sanierungsmarkt nimmt stetig zu und birgt großes Potenzial für die Integration innovativer, nachhaltiger Technologien wie Wärmepumpen, Photovoltaik, Solarthermie, die Digitalisierung des Gebäudebestands oder auch die Fassadenbegrünung. Denn wenn ohnehin Bauarbeiten anstehen, ist das eine Chance, die Sanierung gleich innovativ und nachhaltig zu gestalten. Die bevorstehende Sanierungswelle birgt also die große Chance, alte, ineffiziente und mit fossilen Brennstoffen beheizte Gebäude mit innovativen Methoden auf Plusenergiestandard zu bringen.

 

Alle Präsentationen im Rahmen des Insight Talks vom 21. Jänner 2025

 

Bis zu 80 Prozent Energieeinsparungen möglich

Die gesamten Kosten für eine weitreichende Dekarbonisierung des Gebäudesektors wird auf rund 80 Milliarden Euro geschätzt. Von diesen Kosten entfallen 60 Milliarden Euro auf ohnehin anfallende „reguläre Sanierungen“. Somit wären zusätzliche Investitionen von 20 Milliarden Euro notwendig, um auch die Welle zu nutzen und das Potenzial für eine Dekarbonisierung maximal auszuschöpfen. Damit könnte ausgehend vom unsanierten Zustand mit einer umfassenden Sanierung bis zu 80 Prozent Energie eingespart werden. Visionäre Projekte zeigen bereits heute, dass mutige Investitionen in innovative Sanierungslösungen langfristig von Vorteil sind. Eines davon ist das Green Energy Lab-Projekt RENVELOPE.

 

RENVELOPE-Verfahren vereint Effizienz und Innovation

Cornelia Ninaus, Wissenschaftlerin und Projektmanagerin bei AEE INTEC, unterstreicht die Vorzüge der seriellen Sanierungen gegenüber herkömmlichen Verfahren. Denn Sanierungen gehen nicht selten mit langen Bauzeiten, Lärm und Umzugsnotwendigkeiten einher. Die serielle Sanierung bietet hier eine innovative Alternative im Baukasten-Prinzip. Bis zu 80 Prozent der Arbeitsschritte werden in einer Fabrikhalle vorgefertigt und die Module dann per Lkw zur Baustelle angeliefert. Das spart somit viel Zeit und Aufwand vor Ort. Gleichzeitig können moderne Technologien wie Solarthermie, Photovoltaik, Bauteilaktivierung und intelligente Energiemanagement-Sensorik direkt in die Module integriert werden. In Verbindung mit intelligenten Lüftungssystemen mit Wärmerückgewinnung kann sowohl das Raumklima als auch die Effizienz des Gebäudes signifikant gesteigert werden.

 

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Sanierung eines Schulgebäudes als Vorzeigeprojekt

Ein Vorzeigeprojekt ist die Sanierung einer Berufsschule der steirischen Landesimmobiliengesellschaft in Knittelfeld im Rahmen des Projekts RENVELOPE. Die Zielsetzung erläutert Melanie Wölwitsch von der Landesimmobiliengesellschaft so: „Wir müssen es schaffen, unserer Vorbildwirkung gerecht zu werden und dabei so nachhaltig und ressourcenschonend wie möglich den Energieverbrauch der Gebäude zu senken, den Gebäudekomfort ohne zusätzlichen Energieaufwand zu verbessern und die wirtschaftliche Belastung so gering wie möglich zu halten.“

Im Gespräch mit der Landesberufsschule selbst ergab sich, dass ein großes Anliegen vor allem die Klimatisierung des Gebäudes war. Die Schüler:innen sind ab Mai einer großen Hitze ausgesetzt, die das Lernen im Sommer deutlich erschwerte. Hier lag der Fokus auf einem innovativen Lüftungskonzept, um Überhitzung durch undichte Fenster zu vermeiden. Drei Wärmepumpen auf dem Dach sorgen für Wärmerückgewinnung, und zusätzlich wurden maximale Photovoltaikmodule installiert. Das Ergebnis: Eine Stromproduktion von 85.000 kWh pro Jahr – ausreichend für fast 30 österreichische Haushalte. Prognostiziert wird eine Reduktion des Primärenergiebedarfs um 80 Prozent, eine Senkung des Heizwärmebedarfs um 70 Prozent und Einsparungen von 200 Tonnen CO2 pro Jahr. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Sanierung im laufenden Schulbetrieb lärmschonend durchgeführt werden konnte. Der Unterricht blieb davon weitgehend ungestört, wie sowohl Lehrer:innen als auch Schüler:innen bestätigen.

Ein weiteres Beispiel für den erfolgreichen Einsatz der „Energy Adaptive Shell“-Technologie ist ein Pilotprojekt bei einem Mehrfamilienhaus eines gemeinnützigen Wohnbauträgers in Wien. Dafür wurde die Methode angepasst, um das Potenzial der Lösung in einem dichten, urbanen Umfeld zu demonstrieren. In enger Zusammenarbeit mit dem Sozialbauträger wurde ein zweistufiges Sanierungsmodell entwickelt, das auch ein innovatives Finanzierungsmodell umfasst.

 

Gemeindebauten der Zukunft: Wiener Wohnen setzt Maßstäbe

Gemeindebauten der Zukunft: Wiener Wohnen setzt Maßstäbe

Auch Wiener Wohnen setzt auf serielle Sanierung, um die Sanierungsrate von derzeit 30 Gebäuden pro Jahr deutlich zu steigern. Ziel ist es, alle 40 Jahre eine umfassende Sanierung der 1.800 Gemeindebauten mit 220.000 Wohnungen durchzuführen. Georg Knirsch setzt sich als Technischer Referent bei Wiener Wohnen insbesondere für zirkuläres Planen und ressourcenschonendes Bauen im Kontext der Digitalisierung ein. Er unterstreicht: „Blickt man in die Zukunft, ist die serielle Fassadensanierung eine äußerst interessante Variante der thermische Ertüchtigung, da diese auch weitere innovative Zukunftsfelder abdeckt.“

Als größte kommunale Hausverwaltung Europas geht Wiener Wohnen dabei neue Wege: Im Rahmen einer IÖB-Innovations-Challenge wurden Partner identifiziert, die ein energetisches Gesamtkonzept für die serielle Sanierung von Wiener Gemeindebauten liefern könnten. Das Ziel: Lebenszykluskosten und Baustellenzeiten deutlich zu reduzieren. Wichtig dabei ist die Integration der neusten digitalen Tools (BIM), auf die Wiener Wohnen bereits seit Ende 2024 setzt. Hierbei werden mittels einer 3D-Bestandsaufnahme die gesamten Prozesse vom Planen, Bauen und der Verwaltung von Gebäuden optimiert. Während eines Innovationsdialogs wurden die Weichen gelegt, damit die Umsetzung der innovativen Lösungen rasch vorangehen kann. Mehr zu den Gewinnerlösungen finden Sie hier: https://www.ioeb-innovationsplattform.at/challenges/detail/modulares-fertigteil-system-sanierung-wiener-gemeindebauten/#challenge-200-ideas-list

Um administrative und rechtliche Hürden zu überwinden, sieht Wiener Wohnen in alternativen Vergabestrategien, wie wettbewerbliche Dialoge, Rahmenvereinbarungen und dynamische Beschaffungssysteme Möglichkeiten großes Potential. Ein Pilotprojekt soll als Modell dienen, um die serielle Sanierung auf mehrere Wohnhausanlagen auszuweiten und so einen erheblichen Beitrag zu den Klimazielen der Stadt Wien zu leisten.

 

Gezielte Fördermaßnahmen für innovatives Sanieren

Auf EU-Ebene zeigt die „Renovation Wave“-Strategie, wie prioritär innovative Sanierung ist. Innerhalb von 10 Jahren soll sich die Sanierungsrate in der EU verdoppeln. Förderungen helfen, die Mehrkosten innovativer Sanierungslösungen abzufedern. In Österreich wies Karin Doegl, Expertin für Open Innovation im Green Energy Lab, auf die Ausschreibung „Leuchttürme der Wärmewende“ hin, wodurch innovative Projekte – von ersten Sondierungen über Sanierungen einzelner Gebäude bis hin zu großvolumigen Quartieren – großzügig gefördert werden.

Über das Programm „Leuchttürme der Wärmewende“ stehen in den kommenden Jahren 180 Millionen Euro Fördergeld für innovative Sanierungsprojekte bereit, davon 35 Millionen Euro speziell für Investitionskosten im Bereich serielle Sanierungen. Gefördert werden Projekte, die nachhaltige Lösungen in der Gebäudesanierung umsetzen und den Rahmen für ihre Maßnahmen noch definieren möchten.

Für Sondierungsprojekte stehen Mittel bereit, um die Vorbereitung von kooperativen Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu unterstützen. Dazu gehört die Erstellung eines Gesamtkonzepts ebenso wie die Analyse und Bewertung der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit. Diese Förderung ist ideal für Projektträger, die ihre Konzepte weiterentwickeln und auf ein solides Fundament stellen möchten.

Darüber hinaus können betriebliche und kommunale Einzelprojekte nach dem „First Come, First Serve“-Prinzip gefördert werden. Unterstützt werden damit Maßnahmen zur Verbesserung des Wärmeschutzes und zur Ressourceneinsparung in bestehenden Gebäuden.

Zusätzlich gibt es umfassende Möglichkeiten für die Sanierung und den Bau großvolumiger Gebäude und Quartiere. Unterstützt werden sowohl alleinstehende Demonstrationsprojekte als auch solche, die in Kombination mit Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen umgesetzt werden. Großvolumige Projekte müssen mindestens vier Wohneinheiten oder 400 Quadratmeter Fläche umfassen, während Quartiersprojekte aus mindestens drei Gebäuden bestehen. Neubauten werden ausschließlich im Rahmen qualitätsvoller Nachverdichtungen gefördert.

Ihr Weg zur geförderten Umsetzung von innovativer Sanierung über das Green Energy Lab

Das Green Energy Lab ist spezialisiert auf die Begleitung der Umsetzung von Innovationen in geförderten, kooperativen Projekten. Wir laden Sie ein, Ihre Projekte mit uns als „Leuchttürme der Wärmewende“ einzureichen. Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wenn Sie ein innovatives Sanierungskonzept umsetzen wollen. Wir begleiten Sie bei der Entwicklung und Einreichung Ihrer Idee und verbinden Sie mit dem Know-how aus unserem Netzwerk mit über 350 Partnern aus Forschung, Innovation und Energieversorgung. Jetzt ist die Zeit, sich mit innovativen Lösungen vertraut zu machen, um sie rasch in realen Umgebungen zu testen und die Vorteile für die Zukunft sichtbar zu machen. Melden Sie sich gerne per Email an: karin.doegl@greenenergylab.at

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Mehr Informationen

Insight Talk „Nachhaltige Sanierung“ (21. Jänner 2025)

Kontakt

Ludwig Fliesser

Communications Manager

T: +43 676 47 19 347
E: ludwig.fliesser@greenenergylab.at