Potenziale der Geothermie für die Energiewende

Hat die Geothermie in Österreich das Potenzial zu einer Schlüsselenergiequelle für die Wärmewende zu werden? Das Green Energy Lab widmete dieser Frage am 23. April 2024 einen eigenen Insight Talk.

 

Geothermie gilt als Hoffnungsträger für die nachhaltige Energieversorgung: Eine leistungsstarke Energiequelle, deren Nutzung lediglich Vorteile und kaum Nachteile bringt und die kostenlos unter der Erde darauf wartet, endlich angezapft zu werden – das klingt ziemlich verlockend! Aber, was kann Geothermie tatsächlich für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung leisten?

Das Green Energy Lab widmete sich dem Thema „Geothermie“ mit einem eigenen Insight Talk. Bei diesem Online-Format gaben einschlägige Expert:innen einen Einblick ins Thema und aktuelle Projekte zur Nutzbarmachung. Ein wesentlicher Punkt war die Frage der Bedeutung der Geothermie für die Energiewende.
„Natürlich ist es nicht das Allheilmittel für alles, aber ich und viele meiner Kollegen sind überzeugt, dass Geothermie ein wesentlicher Puzzlestein im Wärme- und Energiemix der Zukunft ist“, stellt Gregor Götzl, Bereichsleiter Geothermie bei der EVN Wärme GmbH und Gründungsmitglied des Vereins Geothermie Österreich fest. Global gesehen hat in fast allen Bereichen der Geothermie-Nutzung sei 1995 ein exponentielles Wachstum stattgefunden. Im Jahr 2020 wurden weltweit bereits 284 Terrawattstunden (TWh) an geothermischer Energie genutzt. Am stärksten war das Wachstum im Bereich Wärmepumpe. „In der Geothermie – wenn wir auch die Erdwärme oder oberflächennahen Lösungen betrachten – dann ist das global, in Europa und auch in Österreich der entscheidende Sektor, der bei weitem den größten Anteil hat“, so Götzl.
In Europa sind insgesamt bereits 2,19 Millionen geothermische Wärmepumpen installiert, was das enorme Marktpotenzial dieser Anwendung aufzeigt. Anteilsmäßiger Spitzenreiter ist Schweden, wo bereits 11 % aller Haushalte über eine Erdwärmepumpe verfügen. Auch in Österreich ist der Anteil mit rund 3 % relativ hoch, wobei die Erdwärmepumpe hierzulande starke Konkurrenz durch die Luft-Wärmepumpe bekommen hat. Dennoch sind schätzungsweise an die 100.000 geothermische Wärmepumpen in der Alpenrepublik installiert, die insgesamt an die 2,6 TWh Wärme aus der Erde gewinnen.

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 Im Green Energy Lab Insight Talk sprechen Expert:innen über die Potenziale der Geothermie in Österreich

 

Geothermie als Teil der Dekarbonisierungsstrategie für Wien

Die Wiener Stadtwerke und ihre Tochterunternehmen decken zahlreiche Wirkungsbereiche, von der Mobilität bis zur Entsorgung, ab. Die Stadt Wien hat das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, also keine Netto-CO2-Emissionen mehr zu verursachen. Auch die Wien Energie, die zur Stadtwerke Gruppe gehört, leistet ihren Beitrag zu den Wiener Dekarbonisierungszielen. Insbesondere gilt es dabei, den Wärmesektor von fossilen Quellen unabhängig zu machen.
Die Wien Energie betreibt eines der größten Fernwärmenetze Europas und das Netz wird weiter ausgebaut und verdichtet. Der Anteil der Fernwärme am Endenergieverbrauch in der Stadt wird sich bis 2040 auf rund 6,7 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr erhöhen. Die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen wird jedoch drastisch sinken. 2040 werden diese lediglich ein Drittel der heutigen Wärmemengen zur Fernwärme beitragen. Geplant ist außerdem, die verbleibenden KWK-Anlagen nur noch mit grünen Gasen, etwa Biomethan oder grünem Wasserstoff, zu betreiben.
Gleichzeitig soll die Nutzung von Abwärmequellen mittels Wärmepumpen ausgebaut werden. Ein Beispiel dafür ist die bereits in Betrieb befindliche EBS-Großwärmepumpe bei der Hauptkläranlage Wien Simmering, welche dem Abwasser nach der Klärung die Wärmeenergie entzieht. Die Anlage ist bereits im Betrieb und wird weiter ausgebaut. Im Vollausbau sollen damit bis zu 880 Gigawattstunden (GWh) Wärmeenergie pro Jahr gewonnen und 112.000 Haushalte versorgt werden. Ein weiteres Beispiel für die Nutzung von Abwärmequellen ist die Hochtemperatur-Großwärmepumpe in Wien Spittelau, die Ende 2023 in Betrieb gegangen ist und Wärmeenergie aus dem Rauchgas der Müllverbrennungsanlage für 16.000 Haushalte nutzbar macht. Die Anlage ist ein Demonstrator von ThermaFLEX und wurde im Green Energy Lab im Rahmen der Innovationsoffensive „Vorzeigeregion Energie“ des Klima- und Energiefonds umgesetzt.
Neben der Errichtung von Großwärmepumpen ist die zweite Stoßrichtung zur Erschließung neuer Fernwärmequellen eine Nutzbarmachung der Tiefengeothermie. „Geologische Daten und Studien haben gezeigt, dass es unter Wien auf jeden Fall ein Potenzial gibt. Auch alte Öl- und Gasbohrungen der OMV hatten gezeigt, dass im Wiener Becken warmes Wasser vorhanden ist“, sagt Rusbeh Rezania. Er ist Head of Alternative Thermal Asset Development bei der Wien Energie GmbH und CFO der deeep Tiefengeothermie GmbH, ein Joint Venture von Wien Energie und OMV.

Erschließung der Tiefengeothermie in Wien

Nach einer nicht erfolgreichen Bohrung im Jahr 2012 wurde im Jahr 2016 ein großangelegtes Forschungsprojekt namens „GeoTief“ gestartet. Dabei ging es vor allem darum, Daten zu generieren, den Untergrund zu verstehen und das Potenzial einzuschätzen, mit dem Ziel geeignete Standorte zu identifizieren und einen Entwicklungsplan aufzustellen. 2017 wurden Messungen mittels 2D-Seismik durchgeführt, 2018/19 folgten dann in einem Bereich von rund 180 km2 noch zusätzlich seismische 3D-Messungen in Kooperation mit der OMV. Mit dem neuen Wissen wurde ein 3D-Modell des Untergrunds erstellt. In Folge wurde die bereits bestehende Bohrung von 2012 reaktiviert und tatsächlich eine thermalwasserführende Schicht gefunden. Die prinzipielle Eignung des Reservoirs für die Nutzung der Geothermie war damit bestätigt. „Trotzdem ist es so, dass solche Geothermie-Projekte extrem investitionsintensiv sind“, erklärt Rezania. Es bleibt immer ein Restrisiko, auch wenn man im Vorfeld sämtliche Analysen und Berechnungen gewissenhaft durchführt. Deshalb hat die Wien Energie im Jahr 2023 zusammen mit der OMV das Joint Venture „deeep“ gegründet. Einerseits verfügt die OMV aufgrund ihrer bisherigen Aktivitäten im Wiener Becken über qualitativ hochwertige Daten und Informationen über den Untergrund. Anderseits kann man auf diese Weise das Risiko teilen und gemeinsam in die Projekte investieren.
Ziel der gemeinsamen Aktivitäten ist es, im östlichen Raum Wiens bis zu sieben Geothermieanlagen umzusetzen und damit eine Wärmeleistung von 200 Megawatt an das Wärmenetz anzuschließen. Die Planung, Errichtung und Betrieb der Geothermieanlagen sollen über das Joint Venture deeep erfolgen. Die Vermarktung und Verteilung der Wärmeenergie übernimmt dann die Wien Energie. Bereits Ende 2024, Anfang 2025 soll die Umsetzung der ersten Anlage beginnen.

Unterirdische Wärmespeicherung für saisonalen Ausgleich

Das Projekt „ATES Vienna“, welches im Rahmen von Green Energy Lab durchgeführt wird, beschäftigts sich mit der möglichen Wärmeenergiespeicherung in sogenannten „Aquiferen“. Ein Aquifer ist eine wasserführende Gesteinsformation. (ATES steht für Aquifer Thermal Energy Storage).
„Logischerweise ist der Wärmebedarf im Winter höher als im Sommer“, erklärt Projektmanagerin Helene Mooslechner. Es gelte daher, überschüssige Wärme aus den Sommermonaten bis zur möglichen Nutzung in den Wintermonaten zu speichern. Ziel des Projekts ATES ist die Konzeptionierung der ersten technischen Pilotanlage in Österreich, um solche Aquifer-Wärmespeicher in das Fernwärmenetz zu integrieren.
Im Prinzip fungiert der Aquifer-Wärmespeicher wie ein großer Thermotank. Im Sommer wird das unterirdische Reservoir mit überschüssiger Wärmeenergie aus dem Fernwärmenetz erwärmt. Im Winter wird der Prozess umgekehrt und die eingespeicherte Wärme wieder ins Fernwärmenetz und in weiterer Folge an die Kunden abgegeben. Inzwischen wurden bereits drei mögliche geologische Formationen im östlichen Raum Wiens für einen unterirdischen Wärmespeicher identifiziert. Die in Frage kommenden Reservoirs weisen Temperaturen von 60 bis 70 Grad auf und liegen in Tiefen von 1.000 bis 1.500 Metern. Sie sind damit wesentlich kühler und näher an der Oberfläche, als jene Reservoirs, die zur direkten Nutzung der Tiefengeothermie ins Auge gefasst wurden.

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