Das Gold aus dem Kanal
Effizient, CO2-neutral und lokal verfügbar: Abwasser und Prozesswasser sind vielfach unterschätzte Energiequellen. Experten sehen in der Nutzung großes Potenzial für die Wärmewende, das wurde beim Insight Talk des Green Energy Lab deutlich.
Die Restwärme aus der Kanalisation kann für eine nachhaltige Energieversorgung genutzt werden (Foto: Rabmer Gruppe)
Abwasser in Kanal und Kläranlagen und Prozesswasser, also etwa die Kühlwässer von Industrieanlagen, bergen ein enormes Potenzial, um die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung voranzutreiben. Österreichweit fließen pro Stunde etwa 85 Millionen Liter Abwasser durch die Kanäle, die Temperaturen bewegen sich zwischen 8 und 22 Grad Celsius. Das energetische Potenzial liegt bei insgesamt 660 Megawatt, die ohne jeglichen Einsatz fossiler Energien genutzt werden könnten. Das Potenzial der thermischen Abwassernutzung bewegt sich damit fast in einer ähnlichen Größenordnung wie jenes der Tiefengeothermie.
Seit Dezember 2018 gilt die energetische Nutzung von Abwasser für die Erzeugung von Wärme EU-weit als „erneuerbare Energie“. Die Nutzung von Abwärme aus Kanal und Kläranlage ist durch den Arbeitsbehelf 65 des Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband (ÖWAV) geregelt. Die Anwendungen der Wärmerückgewinnung aus Abwasser oder Kühlwasser sind vielfältig und lohnen sich schon ab einer Heiz- bzw. Kühllast von 50 kW – vergleichbar mit einer kleinen Schule oder einem Mehrfamilienhaus mit etwa 10 bis 15 Wohneinheiten. Förderprogramme erhöhen zusätzlich die Wirtschaftlichkeit solcher Projekte, Amortisationszeiten deutlich unter 10 Jahren sind absolut realistisch.
Ein Viertel des Wärmebedarfs in Zukunft aus Abwasser?
Gemäß einer Studie der Wiener Universität für Bodenkultur könnten etwa 10 bis 14 Prozent der gesamten Wärmeversorgung im Gebäudesektor allein mit der Abwärme aus dem Kanal oder dem Ablauf der Kläranlage abgedeckt werden, wie Klaus Pichler von Rabmer GreenTech erklärt. Andere Studien, zum Beispiel aus Deutschland, würden sogar eine Abdeckung von bis zu 25 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudebereich allein durch Abwassernutzung für machbar halten.
Praxisbeispiele belegen, dass die Technologie ausgereift ist und auch im realen Betrieb funktioniert. So wird etwa das VioPlaza in Wien Meidling, ein gemischt genutztes Großgebäude mit Büros, Geschäften und Hotel, zur Gänze mittels eines darunterliegenden doppelten Kanalstrangs ohne weiteren Energieeinsatz mit einer Nennleistung von bis zu 6 MW gekühlt. Über diesen Kanal kann zudem mit 1,2 Megawatt Leistung fast ein Drittel der benötigten Heizleistung für das Gebäude zur Verfügung gestellt werden, wie Flora Prenner von Rabmer GreenTech erläutert. Entwickelt und erprobt wurde die Lösung zuvor im Rahmen eines vom Klimafonds geförderten Forschungsprojekts namens ThermaFLEX, durchgeführt unter der Leitung von AEE INTEC im Rahmen der Forschungsinitiative Green Energy Lab. Im Zuge dessen wurde die Zentrale von Wien Kanal in Wien Blumental mit entsprechender Technik ausgestattet, um Heizung und Kühlung mit Energie aus dem Kanal zu realisieren.
Abwasserwärmerückgewinnung für Heizung und Kühlung der Zentrale von Wien Kanal, Foto: Klimafonds/Krobath
Kläranlage Gleisdorf als Pionier der Wärmewende
Ein noch größeres Potenzial für die energetische Nutzung als im Kanal liegt aufgrund der konstant hohen Durchflussmengen im Ablauf der Kläranlagen. Diese Wärmequelle eignet sich besonders für die netzgebundene Wärmeversorgung, also Fern- oder Nahwärme. Zugleich werden damit die Temperaturen des in den Fluss eingeleiteten Wassers gesenkt, was wiederum gut für die Umwelt ist.
Zwei Jahre nach Abschluss des Demonstrationsprojekts „Virtuelles Kraftwerk Gleisdorf“ zieht Erich Rybar, Geschäftsführer der Feistritzwerke der Gemeinde Gleisdorf, eine positive Bilanz. Die Stadt hat sich in einem ambitionierten Klimaschutzplan selbst verpflichtet, ihre Wärmeversorgung zu modernisieren und zu dekarbonisieren. Der Energiepreisschock in Folge des Ukraine-Kriegs beschleunigte diese Anstrengungen und bestärkte die Entscheidungsträger darin, einen innovativen Weg einzuschlagen. Im Zuge der Erweiterung des Fernwärmenetzes wurde die Kläranlage als nachhaltige Wärmequelle identifiziert. Die Nutzung von Abwasser und Faulgas zeigte so großes Potenzial, dass die Überwindung der Autobahntrasse und einer ÖBB-Bahnstrecke in Kauf genommen wurde, um eine Anbindung an das Wärmenetz zu gewährleisten. Die Kläranlage wurde zur „Energiedrehscheibe“ ausgebaut und liefert rund 5.000 MWh lokale Wärme aus Energie aus Abwasser sowie Faulgas, das sind aktuell rund 18 Prozent der netzgebundenen Wärmeversorgung der Stadt und entspricht dem Verbrauch von rund 200 Einfamilienhäusern. Damit werden jährlich rund 1.100 Tonnen CO₂ eingespart.
Der Geschäftsführer der Feistritzwerke, Erich Rybar, erklärt den Kreislauf anhand eines einfachen Beispiels: „Wenn wir abends duschen, gelangt das Wasser in die Kläranlage, wird dort aufbereitet und kann später genutzt werden, um das Duschwasser der folgenden Tage wieder zu erwärmen.“
Eine wichtige Erkenntnis aus diesem Projekt ist, dass solche innovativen Lösungen nur durch ein umfassendes Gesamtkonzept und die enge Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, Energieversorgern und Großabnehmern erfolgreich umgesetzt werden können. Auch die Lösung in Gleisdorf wurde im Zuge des Forschungsprojekts ThermaFLEX im Rahmen des Green Energy Lab realisiert. Solche Demonstratoren bilden die Blaupause für ähnlich gelagerte Anwendungen. Analysen und Experten-Interviews zeigen, dass über 170 Kläranlagen in Österreich dieses Konzept übernehmen könnten. Das spannende daran ist, dass die Wärmerückgewinnung bei unterschiedlichen Kläranlagen, von klein bis ganz groß, umgesetzt werden kann. Ein Beispiel für ein Projekt der Dimension XXL findet sich in Wien: Bei der Hauptkläranlage Simmering versorgt Europas größte Wärmepumpe seit dem Jahr 2023 rund 56.000 Wiener Haushalte mit grüner Fernwärme. Im Endausbau werden es sogar 112.000 Haushalte sein.
Kein Feuer im Sommer dank Wärmerückgewinnung im Pinzgau
In der Ortschaft Wald im Pinzgau stand die Salzburg AG vor der Herausforderung, das Wärmenetz zukunftsfähig zu machen. Die Gemeinde ist geprägt durch den Skitourismus und hat im Winter einen entsprechend hohen Warmwasser und Raumwärmebedarf. Im Sommer reduziert sich dieser Wärmebedarf drastisch, dennoch musste das Biomassekessel auch in der warmen Saison auf kleiner Flamme weiter befeuert werden.
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Im Forschungsprojekt BM Retrofit wurde untersucht, wie der Sommerbetrieb optimiert und klimaneutral gestaltet werden kann. Die Lösung war, das Kühlwasser des nahegelegenen Wasserkraftwerks zu nutzen. Zur Turbinenkühlung wird Wasser aus der Salzach verwendet, das nach der Kühlung ein entsprechend hohes Wärmepotenzial aufweist. Ein Gesamtkonzept aus Wärmepumpe, Pufferspeicher und elektrischem Durchlauferhitzer wurde umgesetzt. Dadurch läuft der Sommerbetrieb zur Gänze mittels der nachhaltig erzeugten Wärme aus dem Kühlwasser ohne Befeuerung des Kessels. Der Gesamtverbrauch an Biomasse kann dadurch um rund 1.000 Schüttraummeter gesenkt werden, was der benötigten Menge zur Versorgung von 30 bis 40 Haushalte entspricht, und liefert somit einen essenziellen Beitrag zur Ressourcenschonung. Zudem wird der Ölkessel nur noch in Ausnahmefällen genutzt, wodurch jährlich 10.000 Liter Heizöl und 30 Tonnen CO2 lokal eingespart werden. Die Salzburg AG plant bereits, ähnliche Ansätze auf andere Wärmenetze zu übertragen. Öffentliche Gelder aus dem Programm Vorzeigeregion Energie des Klima- und Energiefonds haben wesentlich dazu beigetragen, um diesen Innovationsprozess in Gang zu setzen. Denn die Wirtschaftlichkeit stellt sich bei derartigen Investitionen oft erst nach sehr langen Zeiträumen ein, sagt Christian Pugl-Pichler von der Salzburg AG, und betont: „Ohne Förderung wäre das schwer umsetzbar gewesen.“
Im Heizwerk Wald im Pinzgau nutzt die Salzburg AG das Kühlwasser des nebenan gelegenen Wasserkraftwerks für die Wärmebereitstellung. Dadurch kann der Kesselbetrieb im Sommer vollständig entfallen und es werden 1.000 Schüttraummeter Biomasse sowie 10.000 Liter Heizöl eingespart.
Forschung und Demonstration für die Wärmewende
Die drei Demonstrationsprojekte aus dem Green Energy Lab –Gleisdorf, Wald im Pinzgau und Wien Kanal – zeigen, dass Wärmerückgewinnung aus Abwasser und Kühlwasser enormes Potenzial für eine nachhaltige Wärmeversorgung hat. Diese Technologien leisten einen Beitrag zur Dekarbonisierung, fördern die lokale Wertschöpfung und reduzieren die Importabhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Verbindung von Forschung und Praxis. Das Green Energy Lab dient dabei als ideale Plattform, um Energieversorger, Kanal- und Kläranlagenbetreiber, Kommunen und Technologieanbieter zusammenzubringen. Gemeinsam werden innovative Lösungen entwickelt und umgesetzt und auf diese Weise die Wärmewende vorangetrieben.
„Derartige Konzepte zur Abwärmenutzung bieten enormes Multiplikationspotenzial für den gesamten Nah- und Fernwärmesektor. Die Nutzung der noch vorhandenen Abwärmen bei den vorgestellten Demonstratoren sind ein Paradebeispiel für die kaskadische Wärmeerzeugung und Kreislaufwirtschaft. Solche innovativen Ansätze sind die Basis für eine intelligente und nachhaltige Wärmeversorgung für Generationen. sagt Joachim Kelz, Projektleiter von ThermaFLEX und BM Retrofit bei AEE INTEC, abschließend.
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Ludwig Fliesser
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